Coronalogbuch einer Lehrerin: voll gekündigt ist halb geschafft oder Mit Kafka in die Schule.

Letzter Tag der Winterferien 2021: Wer es vorher nicht wahrhaben wollte, müsste spätestens jetzt anerkennen, dass geöffnete Schulen und Kitas Pandemietreiber sind – erst seit deren Schließung gehen die Zahlen der Neuinfektionen endlich runter; die Reaktion aller (bildungs)politischen Verantwortlichen der Bundesrepublik darauf: „Schulen und Kitas sind als erstes zu öffnen!“;

lese neuerdings von den Langzeitfolgen und -schäden bei Kindern nach einer Covid-Erkrankung und frage mich, ob das nun zu geplantem, längerfristigem Notbetrieb der Schulen führen wird (die Schließung erwartet niemand) – nicht etwa weil ich denke, dass das Wohl der Kinder interessiert, nein, ausschließlich weil ich der Wirtschaft (zu)traue zu sehen, dass sie a) ihre künftige Konsumentenmasse und b) ihre künftigen Mehrwertgenerierer nachhaltig schädigt, was Mehrkosten verursacht die niemand zahlen möchte, c) wir Wahljahr haben und Bilder erkrankter Kinder immer schlecht für die Prognosen sind, auch weil manch eine*m das tatsächlich nah geht – außer Jens Spahn, der wird sich auch das verzeihen, nachdem er sich für die Folgen seiner Politik nicht verantwortlich erklärt hat;

Damit ist er nicht einmal allein sondern in zahlreicher, vor allem männlicher Gesellschaft:

wie ich lese, bedauert Hr. Kretschmann den „Lockdown light des Novembers“ und das Fehlen weitreichender Beschränkungen (wie Schul- und Kitaschließungen), da dieser die Zweite Welle weder verhindert sondern verstärkt hätte, erklärt dabei jedoch zeitgleich: „Aber die Politik ist nicht für die Lage verantwortlich. Wir sind nur die Akteure, die im Kampf gegen die Pandemie harte Entscheidungen treffen müssen. Verantwortlich für die Krise ist das Virus.“ Das Fehlen treffender, relevanter „harter Entscheidungen“ hat – wer ahnt es? – also die Wissenschaft zu verantworten, denn: „Von Teilen der Wissenschaft hatten wir die Ansage, dass das genügen könnte. Das war aber ein Irrtum. Aber wir mussten und müssen in der Situation und unter Druck handeln. Dabei passieren Fehler, das ist leider so.“ Soso, Herr Kretschmann, ich möchte Sie fragen: Wer trägt die Verantwortung für die Frage, wessen „An-“ oder Aussagen Sie glauben und wessen Expertise Sie befolgen? Mann kann sich gegen die Empfehlungen des RKIs, gegen Studien und Forschung auch anderer Länder stellen, gegen alle und alles, das tatsächlich „harte Entscheidungen“ anriet und zwar nach einem knappen Jahr mit Covid – aber dann übernimmt Mann dafür verdammt nochmal die Verantwortung und schiebt diese nicht ernsthaft auf ein Virus! Wie genau trägt ein Virus eigentlich Verantwortung? „Hinterher ist mann immer klüger“ gilt nicht, Herr Kretschmann, wenn sehr sehr sehr viele andere schon vorher und währenddessen smarter waren, es nur unbequem gewesen wäre, auf sie zu hören; Fun Fact: noch am 27. Januar 2021 hofierte sich der Mann selbst damit gegen jede Vernunft und sämtliche Daten seinem Bundesland zum 1. Februar Schulen und Kitas zu öffnen; am 28. Januar kassierte er diese Forderung nach Bekanntwerden des Auftretens der Mutanten in einer Freiburger Kita wieder – als ob 11 Monate mit der nicht mutierten Variante nicht ausgereicht hätten, um vernünftige, verantwortungsvolle Entscheidungen in diesem Kontext zu treffen, steht dieser Mann wieder zur Wahl – ungeniert und selbstherrlich („Das Wohl der Kinder!“);

lese weiter und muss vermuten, auch Hr. Kretschmer leidet mittlerweile an ähnlichen kognitiven Herausforderungen: „Ihm selbst sei der Ernst der Lage erst bewusst geworden, nachdem er im Dezember mehrere Krankenhäuser in Pirna, Görlitz, Aue und Bischofswerda besucht hatte. »Nachdem wir die Situation erfasst haben, haben wir sofort gehandelt«, sagte Kretschmer. »Ich hätte mir gewünscht, dass ich früher gewarnt worden wäre.“ Was, Herr Kretschmer, rauchen Sie? Wo waren Sie, was haben Sie das Jahr 2020 bis zum Dezember getan, dass Sie bis dahin und die Krankenhäuser von vier Orten „zur Erfassung der Situation“ benötigten? Sind die Toten zu leise gestorben? Zu weit weg von Ihrer Haustür? Hat Prof. Drosten es versäumt Sie persönlich täglich „zu warnen“ vor dem, was bereits seit Monaten globale und nationale Realität war? Wofür braucht Ihr Bundesland Sie noch?

Genau einer schafft es bisher, durch Eingeständnis eigener Versäumnisse und Reflektion immerhin nachträglich Verantwortung zu übernehmen: „Er bedauere seinen früheren Widerstand gegen härtere Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Im Sommer und Herbst hatte sich Ramelow gegen stärkere Einschränkungen gewandt. Im Rückblick sei das falsch gewesen, sagte er der Zeitung. Er habe sich zu lange von »der irrigen Hoffnung leiten lassen«, ein weicher Lockdown könne die Welle brechen. „Die Kanzlerin hat es immer wieder in aller Deutlichkeit gesagt, aber im Kreise der Ministerpräsidenten wollte man es nicht so recht hören – auch ich nicht“, sagte Ramelow. Die ständigen Mahnungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe er „als Belästigung empfunden“. Heute müsse er jedoch sagen: »Die Kanzlerin hatte recht, und ich hatte Unrecht.“

Warnungen einer Naturwissenschaftlerin sind „Belästigung“; ich frage mich mittlerweile, ob das gros dieser Regierung überhaupt jemals das Virus selbst so ernst genommen, wie sie behauptet, von der Bevölkerung verlangt und ihre Einschränkungen damit legitimiert hat;

Was Bodo Ramelow noch vergisst zu sagen, ist dies: Dieses Zögern, das Zaudern, das nicht wahrhaben wollen, das Ignorieren und Ausblenden – kurz, der Eiertanz ohne Rückgrat auf dem Seil der Selbsterhöhung und Ignoranz haben zig tausende Menschen mit ihrem Leben bezahlt. Laut Prof. Melanie Brinkmann sind es 30.000 Menschenleben, die allein durch dieses Gebaren im Herbst und Winter zu Tode kamen, was also zu verhindern gewesen wäre und somit unverzeihlich bleibt.

Ich fasse zusammen: Der eine Ministerpräsident wurde nicht persönlich und früh genug gewarnt, der nächste hat die Toten erst im Dezember entdeckt, der übernächste braucht Mutanten vor der Tür zum Wachwerden – wenn die Verantwortlichen nur noch Zuständige mit Entscheidungsbefugnissen also Macht doch dabei ohne Verantwortung sind – wer und was ist dann noch der Staat, wer und was schützt dann noch diese Demokratie?

Seit 11 Monaten leben und arbeiten wir mit Corona in der Schule und auch nach diesem knappem Jahr gibt es weiter keine Strategie außer dem Wechsel aus Notfallbetreuung mit Distanzlernen und dem Vollbetrieb; aktuell gilt die Notbetreuung, niemand weiß wie lange noch oder wann wir überhaupt erfahren, wie lange sie noch dauert; in meiner Schule wurde aus anfänglich einer Gruppe mit vier Kindern innerhalb von zwei Wochen fünf Gruppen mit bis zu 15 Kindern (alle gemischt aus verschiedenen Klassen und Jahrgängen in einer Gruppe), Tendenz weiter steigend, die Liste der „systemrelevanten Berufe“ ist nunmehr ein Dokument von 50 Seiten; im Gegensatz zu letztem Jahr werden wir jetzt in wechselnde Gruppen eingeteilt, folglich erhöhen sich die Kontakte; Abstand ist wieder nicht möglich, warmes Wasser weiterhin nicht existent, dafür müssen jetzt alle im gesamten Gebäude ihre Maske stundenlang tragen, Kopfweh bis Schwindel inklusive; mein Arbeitgeber hat mir seit Pandemiebeginn eine Einmalzahlung von 13€, 10 einfache Masken aus China und nun zwei FFP2-Masken zur Verfügung gestellt; weiter keine Lüftungsanlagen obwohl es sie gäbe zu bezahlbaren Preisen; weiter diese Politik der Kurzfristigkeit und wieder und weiter nicht einmal mehr eine halbe Woche Planbarkeit meines Berufes und der Tätigkeiten; weiterhin die Lüge vom Bildungsanspruch als Legitimation dieser unfassbaren Politik, während wir mehr und mehr deutlich als Verwahranstalt herhalten sollen, weil Eltern arbeiten sollen, wollen oder müssen;

Wo war dieser angebliche Bildungsanspruch, für den meine KollegInnen und ich unsere Gesundheit und unser Leben aufs Spiel setzen sollen vor Corona und in den Jahren, als an den Schulen Personal abgebaut, Stundenverpflichtung erhöht, Klassenstärken erhöht, die Inklusion ohne Personal und Ausstattung aufgedrückt, die Vorschulpflicht abgeschafft, stattdessen die frühkindliche Bildung dem bereits überarbeitetem weil unterbezahltem bei personell unterbesetztem Kitapersonal überantwortet wurde?; wo ist dieser Anspruch gepaart mit Vernunft wenn es darum geht, die noch immer nicht vorhandenen Aufstiegschancen durch Bildung möglich zu machen in einer BRD, der jede Statistik und Untersuchung seit Jahrzehnten belegt, dass sie alles tut, um ihre Klassen ähnlich dem ständischem Feudalsystem intakt zu halten und Bildung hierzulande ein Garant für gar nix ist – ich kann nicht mehr sagen, ob mich die Verlogenheit wütender macht, oder mein Ausgeliefertsein an einen Arbeitgeber, der offenkundig tun darf, wie er will; finde mich nicht wieder in dieser Umfunktionierung meines Berufes: als erste Frau meiner Familie mit Abitur und zwei akademischen Abschlüssen – zum Glück mit mehr als dem Lehramt, was mich erst zur halben Quereinsteigerin mit erheblicher Berufserfahrung machte und nun zur Ex-Lehrerin mit etlichen Optionen – einer Berufsausbildung sowie dem Höllenreferendariat – um jetzt de facto überbezahlt doch dabei nachhaltig gefährdet und fachlich unterirdirsch unterfordert für die Kinderbetreuung verpflichtet zu sein – wir verwahren und machen Nachhilfe, anders lässt sich das nicht ehrlich bezeichnen und nein, dafür bräuchte ich nicht einmal mein Abitur; auch deshalb habe ich gekündigt und verlasse das System, denn es ist kein Ende in Sicht noch der Wille von staatlicher Seite, endlich vernünftig und verantwortungsvoll zu agieren.

Die Mutanten breiten sich weiter aus, es fehlt weiter der Impfstoff, auch für Schulpersonal; höre stattdessen von der „neuen Strategie“ (die alt ist!) der Schnelltests: wiederhole an dieser Stelle, dass Schnelltests keine Prophylaxe darstellen; denke das zu Ende und möchte mitteilen, dass sich das Angestelltsein im stattlichen öffentlichen Dienst, der sämtliche ArbeitnehmerInnenschutzgesetze außer Kraft gesetzt und uns jeglicher Mitsprache- und Mitwirkungsrechte sowie Autonomie beraubt hat, nur noch missbräuchlich anfühlt: ausgeliefert und wehrlos gegenüber dem Staat, der mein Arbeitgeber ist, der mir mittlerweile und seit knapp einem Jahr soziale Kontakte verbietet, mich aber zeitgleich zwischen Hunderte nachweislich potenziell ansteckende Kinder stellte – mich also ohne Schutz in den Dienst zitiert und mir erklärte, er dürfe mich ohne präventive Schutzmaßnahmen zur Arbeit zwingen, nun würden die Schnelltests mir schon von meiner Infektion berichten – was maximal den Schutz der Kinder und deren Familien bedeutet, meine Gesundheit weiterhin als irrelevant und mich als Mensch als austauschbar und Funktion entlarvt; wenn ich also nichts zähle, braucht es mich auch nicht, denn wo ein Leben keinen Wert hat, haben es auch mehrere nicht: 10 mal Null bleibt Null.

Alles, das weiterhin absehbar ist, ist dies: das „Weiter so!“ Denn wenn man Fehler nicht einmal mehr als solche anerkennt und sie immerhin sich selbst eingesteht, was die Basisgrundlage jeglichen Lernens ist, sondern sich auch hier herausstiehlt selbst als diejenigen, die alles zu verantworten haben, sehe ich keinen Anlass ein Ende der deutschen Inkompetenz durch Arroganz und völliger Selbstüberschätzung zu sehen – es wird noch etliche Monate so weitergehen und weitere Menschenleben kosten. Und ich lehne es ab dieses System weiter zu tragen und zu stützen, entziehe ihm also qua Kündigung meines Arbeitsverhältnisses im Hannah Arendtschen Sinne „meine Unterstützung“; so viel schulde ich mir, und so viel möchte ich mir leisten: das Vertrauen darauf, dass ich meine Kompetenzen einbringen kann, ohne dabei meine Gesundheit oder gar mein Leben zu gefährden, für meinen Lebensunterhalt aufzukommen, ohne dass es zum Überlebenskampf wird. Ich habe gelernt, selbständig zu denken und zu handeln und halte diesen Cassandrischen Zustand in dieser Form nicht länger aus; diese Lehrerin geht …


4 Gedanken zu “Coronalogbuch einer Lehrerin: voll gekündigt ist halb geschafft oder Mit Kafka in die Schule.

  1. Herzlichen Glückwunsch zu dieser richtigen Entscheidung. Die (eigene) Gesundheit muss immer Vorrang haben. Und viel Erfolg bei der nächsten Stelle!

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